Christoph Noebel

Diskussion, Debatte oder Streit?

Journalismus, December 02, 2023

Mit dem rasanten Aufkommen der sozialen Netzwerke wird nicht nur über deren Vorteile des gemeinsamen Kommunizierens diskutiert, sondern zunehmend über die zersetzende Kraft der darin enthaltenen Aggression, Negativität und Streitlust. Die entsprechende Streitkultur der sozialen Medien zeichnet sich dadurch aus, dass sie allzu häufig einseitige und populistische Positionen in einer Sprache verbreiten, die sich der Mittel persönlicher Beleidigung, Schmähkritik und Hetze bedient. Von zivilisierten Diskussionen und Debatten kann in solchen Fällen kaum die Rede sein. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen1 sieht diese Entwicklung sehr kritisch und spricht vom Gesellschaftsphänomen einer „großen Gereiztheit“. Da das öffentliche Augenmerk vorwiegend auf den emotional aufgeladenem Kommunikationsstil der sozialen Netzwerke gerichtet wird, genießt der professionelle Journalismus in dieser Hinsicht weniger Aufmerksamkeit. Obwohl das Ausmaß tendenzieller Berichterstattung und Analysen in Print und Rundfunk im Vergleich zu den sozialen Netzwerken deutliche Unterschiede aufweist, ist nicht zu übersehen, dass auch Politik, Journalismus und Publizistik ähnliche Muster und Motive der Aufmerksamkeitsökonomie aufweisen. Egal, ob in privaten oder öffentlichen Medienanstalten, für sie gelten vergleichbar mit der Wirtschaft dieselben Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs und Konkurrenzdenkens. Daher sind Einseitigkeit, Übertreibung und Herdenverhalten nicht nur in den sozialen Netzwerken zu beobachten, sondern in geringerem Umfang auch Bestandteil der „seriösen Medien“.

Streit und Streiten

Vor diesem Hintergrund erscheint es einerseits bemerkenswert, andererseits auch verständlich, dass aus den Medien und zum Teil aus der Politikwissenschaft immer wieder mehr Streit und die Verstärkung einer Streitkultur gefordert werden. So verlangt zum Beispiel die Politologin Andrea Römmele2 eine Erneuerung der Streitkultur in Politik und Gesellschaft. Zu den medialen Verfechtern dieser Position bekennen sich auch Journalisten, wie etwa die Fernsehmoderatoren Markus Lanz und Michel Friedmann oder die Journalistin Susanne Schnabl3. Hier fragt sich, warum Akademiker und Intellektuelle den aggressiv konfrontativen und vielfältig auslegbaren Begriff des Streits wählen, wenn eine Auswahl alternativer Ausdrucksformen der verbalen und schriftlichen Auseinandersetzung zur Verfügung steht. Benötigt die aktuelle Weltlage, geprägt vielfach durch Polarisierung und Konflikt, mehr streitbare Konfrontation? Über die Gründe, warum Forderungen nach mehr Streit besonders aus den Reihen des Journalismus stammen, kann nur spekuliert werden. Das offensichtliche Argument lautet, dass der politische Streit, die Kontroverse und der Skandal wichtige Grundlagen der Medienarbeit liefern. Um diese These zu erörtern, bedarf es zunächst der Klärung und Kontextualisierung der sprachlichen Kommunikationsformen, von denen der Streit nur eine Variante von mehreren ausmacht.

Nach Angaben des Dudens bedeutet der Streit: „1. Heftiges sich auseinandersetzen, Zanken [mit einem persönlichen Gegner] in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten; 2. Waffengang, Kampf“. Das Verb streiten bedeutet daher „mit jemandem Streit haben, in Streit geraten“. Aus diesen offiziellen Definitionen ergeben sich drei wesentliche Charakteristika des Streits: Zunächst basiert er auf abweichenden und gegensätzlichen Positionen oder Verhaltensweisen, über deren Richtigkeit gerungen und gezankt wird. Streit bedeutet stets Konfrontation. Zweitens zeichnet sich Streiten dadurch aus, dass Konflikte auf emotionale, lautstarke und oft auf irrationale Weise geführt werden. Daher spielen drittens in solchen Situationen die Tugenden des Zuhörens, der Reflektion, Toleranz und die Fähigkeit, mit sachlich begründeten Argumentation und fundierter Kritik zu überzeugen, kaum eine Rolle. Zum Vergleich bedeuten dem Collins Dictionary zufolge englische Synonyme für Streit: Row, Quarrel, Fight, Dispute oder Noisy Argument. Sie haben nichts mit einer gemäßigten und zivilisierten Auseinandersetzung gemein.

Obwohl der Streit und das Streiten durchaus zum menschlichen Wesen gehört, ist es dienlich, zwischen persönlichen und juristischen Streitigkeiten einerseits und der öffentlichen Auseinandersetzung andererseits zu unterscheiden. Hier ist beispielsweise zu beobachten, dass auf persönlicher Ebene eine hitzige Diskussion auch umgangssprachlich als Streitgespräch bezeichnet wird. Da sich die genannten Forderungen einer stärkeren Streitkultur jedoch ausschließlich auf den Kontext der Politik, des Journalismus und der Gesellschaft als Ganzes beziehen, werden wir uns im Folgenden nur auf die Öffentlichkeit konzentrieren. Das Konzept der Öffentlichkeit ist insofern von Bedeutung, als es die politischen Prozesse anspricht, die zur Meinungsbildung und zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Besonders die Philosophen Hannah Arendt und Jürgen Habermas befassten sich ernsthaft mit diesem Thema und beschrieben das Ideal eines uneingeschränkten, informierten und engagierten Austauschs unter Bürgern und in der Politik, wobei die freie Presse eine unterstützende Funktion einzunehmen habe. Die Gewährleistung der Beteiligung aller Bürger an diesem zivilgesellschaftlichen Austausch stelle neben der Möglichkeit, an parlamentarischen Wahlen teilzunehmen, eine notwenige Bedingung für die Funktionsfähigkeit und Stabilität einer liberalen Demokratie dar.

Gespräch, Dialog und Diskussion

 Die Bedeutsamkeit der öffentlichen Kommunikation wirft nun die Frage auf, welche Begrifflichkeiten als Alternative zum Streit in Frage kommen und inwiefern sie dem Konzept der Öffentlichkeit gerecht werden. Um dies zu klären ist es hilfreich, zwischen zwei Arten des Austauschs zu unterscheiden. Zur informellen Gestaltungsform zählt zunächst das Format des Gesprächs, das in den Medien meist als persönliches Interview präsentiert wird und nicht mit dem Begriff des Streitgesprächs verwechselt werden darf. Abhängig von der Qualität des Fragenden, bieten derartige Gespräche und Dialoge über den positiven Unterhaltungswert hinaus meist einen inhaltlichen Erkenntnisgewinn. Ein gutes Interview beruht darauf, dem Publikum die Standpunkte und Motive des Gastes näher zu bringen. Dies gelingt nur, wenn sich die Beteiligten eines ruhigen und zivilisierten Sprachstils bedienen, der auf Zuhören, Toleranz und Sympathie beruht. In einem konstruktiven Dialog geht es nicht darum, Streit zu suchen und sich als Interviewer mit Provokationen zu profilieren, um den Gast zu verunsichern oder gar zu demütigen. Wenn derartige Gespräche zum Spektakel mutieren, haben wir es bestenfalls mit sensationsgetriebener Unterhaltung zu tun und im schlimmsten Fall trägt der aggressive Stil zu Entwicklungen einer Verrohung der Gesprächskultur und Polarisierung in der Gesellschaft bei.

Zur informellen Form des Austausches zählt auch die Diskussion. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass meist mehrere Personen an Gesprächsrunden teilnehmen. Auch hier spielt das Fernsehen eine tragende Rolle, dessen Sendungen neben einigen seriösen Diskussionen weitgehend von den politischen Talkshows dominiert werden. Diesbezüglich gilt die Faustregel: Je mehr Studiogäste beteiligt sind, desto diffuser und oberflächlicher fällt der Inhalt und das Niveau der Diskussion aus. Pluralität im Sinne einer Fülle einseitiger Meinungen, die oft nicht begründet werden, führt nicht automatisch zu neuen Erkenntnissen. Das trifft in besonderem Maße auf vermeintliche Experten zu, wenn sie wegen ihrer extremen Positionen eingeladen werden und für Kontroverse sorgen sollen. In öffentlichen Diskussionen beklagt der Journalist Oliver Georgi4 den verbreiteten Gebrauch von Schlagwörtern, Floskeln und Phrasen, die nur einen geringen Informationsgehalt aufweisen. Diskussionen können durchaus leidenschaftlich ausgetragen werden, doch im Gegensatz zu einer Streitkultur fordert er besonders von Politikern mehr Klartext und eine verständlichere Sprache. Auch der Kommunikationsberater Stefan Wagner5 beklagt erhebliche Mängel in der Qualität öffentlicher Diskussionen und begründet sein negatives Urteil mit dem erweiterten Konzept des Scripts. Es bezeichnet einseitige Narrative, die über die gängigen Begriffe Fake Facts oder Fake News hinaus ein eigenes Kommunikationsproblem darstellen. Bei den Scripts handelt es sich nicht unbedingt um Lügen, sondern um die Verbreitung verzerrter Darstellungen, Mythen und Halbwahrheiten. Das Format des TV-Polittalks wirft daher unweigerlich kritische Fragen auf, denn es fußt weniger auf den Prinzipien rationaler Argumentations- und Kritikführung als vielmehr auf Selbstdarstellung, Streit und Spektakel. Es ist ungewiss, in welchem Maße die politische Talkshow tatsächlich der Gesellschaft, Demokratie und dem sozialen Zusammenhalt einen konstruktiven Dienst erweist.

Debatten und Debattenkultur

Die öffentliche Debatte fällt unter die Rubrik der formellen Kommunikationsform und weist im Vergleich zur Diskussion mit mehreren Teilnehmenden einen wichtigen Unterschied auf. Während aus Diskussionen nicht zwangsläufig Ergebnisse oder Lösungen zu erwarten sind, trifft dies nicht auf das Konzept der Debatte zu. Besonders in politischen Kontexten, etwa im Parlament, dient die Debatte als Vorbereitung und Grundlage für eine abschließende Abstimmung und Entscheidung. Debatten basieren auf der Ausführung meist entgegengesetzter Positionen. Dies wird besonders im englischen Parlament deutlich, in dem sich die Parteien der Regierung und Opposition gegenübersitzen und somit die konfrontative Natur der politischen Auseinandersetzung betonen. Dennoch gelten nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den meisten Parlamenten liberaler Demokratien formelle und normative Vorschriften der verbalen Beteiligung. So darf der Abgeordnete in der Regel nur für eine begrenzte Zeit das Wort ergreifen, damit genügend Stimmen aus allen Lagern gehört werden können. Darüber hinaus gelten formale Regeln des Anstands. Trotz lebendiger Auseinandersetzungen sind Redner angehalten, einen zivilisierten Sprachstil zu wahren, der Beleidigungen und Schmähkritik untersagt. Diesbezüglich beklagte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, dass sie mit dem aktuellen Anstieg der Ordnungsrufe eine Verrohung der Sprache und Debattenführung im Bundestag wahrnehme, die das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Prozesse beschädige. Während Verwarnungen im Bundestag ohne Konsequenzen bleiben, wird dagegen im britischen Parlament die Bezeichnung eines anderen Abgeordneten als Lügner mit einem zweiwöchigen Ausschluss aus den Sitzungen bestraft. Zweifellos finden oft lebendige und konfrontative Auseinandersetzung in Plenarsälen statt, doch auch dann spricht man nicht von parlamentarischem Streit, sondern von parlamentarischer Debatte.

Der Begriff der Debatte ist aus einem zusätzlichen Grund von gesellschaftspolitischer Bedeutung, da sich daraus das Konzept einer gelebten Debattenkultur ableitet. Es basiert auf den Prinzipien der Aufklärung und den persönlichen Fähigkeiten einer faktenbasierten, begründeten und dadurch überzeugenden Arguments- und Kritikführung6. Kritik beruht nicht nur auf Toleranz unterschiedlicher Positionen, sondern ist auch mit dem Wort Kriterium verwand und erfordert das Heranziehen relevanter Gründe und Kontexte. Zur den Bedingungen einer konstruktiven Debatte gehört daher, kritikoffen zu sein und sich von logisch-fachkundigen Argumenten überzeugen zu lassen. Sollten Debatten dagegen in ein emotionales und hitziges Wortgefecht ausarten, haben wir es mit Streit zu tun. Wer demzufolge eine vernünftige Debattenkultur fordert, könnte sich an der entsprechenden Praxis in den Debating Societies Großbritanniens oder an der deutschen Version des Vereins der Debating Society Germany e.V. orientieren. In ihren lebendigen Debatten werden gegensätzliche Standpunkte mit überzeugender Argumentation und auf einem entsprechend hohem Niveau vorgetragen und ausdiskutiert. In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, ein paar weitere Aspekte zur Einordnung der Qualität öffentlicher Debatten zu erwähnen.

Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn7 unterscheidet zwischen den Inhalten einer Debatte und dem rhetorischen Stil der daran Teilnehmenden. Es zähle nicht nur was gesagt wird, sondern auch wie und mit welchen Mitteln. Daraus leitet Zorn die Charakterisierungen des Dogmatikers und Populisten ab, die unter Einsatz von Schwarz-Weiß-Malerei, Feindbildern und aufrührerischer Verschwörungstheorien versuchen, Menschen zu manipulieren und zu verunsichern. Der Demokrat oder demokratisch Denkende akzeptiert dagegen unterschiedliche Positionen, er verschreibt sich nicht apodiktischen Vorstellungen und pflegt im Gegensatz zum Populisten einen konstruktiven Argumentations- und Kritikstil. Obwohl Zorns Forderung eines sachlichen Kommunikationsstils zunächst auf Politiker anwendbar ist, trifft seine „Logik für Demokraten“ auf alle Gesellschaftbereiche zu, inklusive den Journalismus.

Der zweite Aspekt, der den öffentlichen Diskurs aktuell beeinflusst, bezieht sich auf die Beobachtung, dass in der medialen Einordnung gesellschaftspolitischer Ereignisse der Kommentar zunehmend durch persönliche Meinung ersetzt wird. Die Rundfunkanstalt ARD hat diesen Begriffswandel formell vollzogen. Um diesen Schritt einzuordnen, lässt sich der Duden heranziehen, denn er beschreibt den Kommentar als „Erläuterung und kritische Stellungnahme“ aber auch „persönliche Anmerkung“. Obwohl der Kommentar subjektive Bemerkungen und Erfahrungen nicht ausschließt, grenzt er sich von persönlichen Äußerungen und dem Konzept der Meinung ab. Der Kommentar oder die Analyse wird generell mit Sachlichkeit assoziiert, während die persönliche Ansicht oder Meinung mehr Subjektivität, Emotionalität und Feindseligkeit enthalten kann. Diesen Unterschied ansprechend, brachte der Blogger Rezo das zentrale Problem auf den Punkt: Es sei einfach eine Meinung zu äußern, es bedarf jedoch vieler Arbeit und Erfahrung, um einen sachlichen Kommentar abzugeben. Abgesehen davon, dass sich zumindest Journalisten der ARD mit Ihrer Meinungsäußerung das Leben einfacher machen, sorgt der Wandel hin zu mehr Subjektivität für ein breiteres Phänomen. Der Diskussions- und Debattenstil wird zunehmend moralischer, wenn nicht sogar moralisierender. Es ist dieser Ton, der zu Polarisierung, Intoleranz, Streit und Fragmentierung in der Gesellschaft beiträgt.

Zu konstruktiven Debatten gehört oft die „Ja, aber“ Formulierung. Sie ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. In komplexen Gemengelagen kann das „Ja“ bedeuten, dass sich Diskutanten über gewisse Aspekte einig sind und dennoch in anderen Bereichen abweichende Positionen vertreten. In diesem Falle verkörpert das „Ja“ eine Haltung des Respekts und trägt dazu bei, dass Diskussionen sachlich bleiben und nicht in polemische Schlagabtausche ausarten. Sollte sich das „Ja“ auf die gemeinsame Ablehnung einer kritischen Lage beziehen, entspricht das „aber“ keineswegs einer normativen Relativierung. In der Regel handelt es sich um den Versuch, auf Ursachen und Kontexte einzugehen, um daraus Lösungen ableiten zu können. Trotz wertebezogener Zurückweisung von Missständen und Krisen kann daher eine rationale Auseinandersetzung nur dann stattfinden, wenn die entsprechenden Probleme realitätsnah eingeordnet und bewertet werden. Der gelegentliche Vorwurf, eine differenzierte Diskussionshaltung zu Problemen ließe sich als Apologie oder Rechtfertigung einstufen, ist meist fehlgeleitet und kontraproduktiv. Der Gebrauch moralisch gefärbter Totschlagargumente sorgt in der Regel dafür, vernünftige Debatten zu verhindern.

Der letzte Aspekt, der im Zusammenhang mit Streitkultur zu nennen ist, bezieht sich auf den Ausdrucksstil der Konfrontation, der sich gegebenenfalls in Widerstand und Protest äußern kann. Dieser Sachverhalt ist zwar von Bedeutung, er widerspricht jedoch nicht dem demokratischen Grundgedanken, Konflikte in vernünftigen Diskussionen zu erörtern. In Debatten geht es selten um rein binäre Gegensätze, sondern um das Austarieren von Grauzonen und Gemeinsamkeiten. Streit und Zoff widersprechen daher der gesellschaftlichen Notwendigkeit, auf friedliche Weise Kompromisse oder Konsens zu finden. Diesbezüglich beklagt die Journalistin Yasmine M’Barek8 eine „radikale Kompromisslosigkeit“ in Politik und Gesellschaft. Im Umkehrschluss fordert sie eine entsprechend radikale Kompromissbereitschaft, um die aktuellen Probleme, insbesondere den Umgang mit dem Klimawandel, in der politischen Mitte zu bewältigen. Streiten auf politischer, journalistischer und zivilgesellschaftlicher Ebene dient der Spaltung und verhindert konstruktive Kompromisse.

Diskussion, Debatte oder Streit?

Abschließend muss auf den Sachverhalt hingewiesen werden, dass sich die Begriffe des Streits und Streitens in der deutschen Alltagssprache als Synonym für Diskussionen eingebürgert haben. Doch nur weil es in einigen Kreisen opportun erscheint, das Konfrontative hervorzuheben, sollte über die Sinnhaftigkeit dieser Praxis nachgedacht werden, zumal der Streit Polemiken, Beleidigung, Hetze, Halbwahrheiten oder Lügen nicht konsequent ausschließt. Wenn es stimmt, dass auf Worte entsprechende Taten folgen können, muss die Wortwahl des Streits aus gesellschaftspolitischer Sicht kritisch hinterfragt werden. Wer eine Streitkultur fordert darf sich nicht wundern, wenn er Streit in Form von Gereiztheit, Polarisierung und gegebenenfalls Extremismus erntet. Da es jedoch mit den Begriffen der Diskussion, Debatte, dem Dialog oder Gespräch friedliche Alternativen gibt, die nicht von den Interpretationsproblemen des Streits befallen sind, erscheint es dem demokratischen Gedankengut entsprechend sinnvoll, sich in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ausschließlich dieser konstruktiven Begriffe zu bedienen.

Literatur

1. Pörksen, Bernhard (2018): „Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung“, Carl Hanser Verlag, 2018
2. Römmele, Andrea (2019): „Zur Sache!: Für eine neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft“, Aufbau Verlag, 2019
3. Schnabl, Susanne (2018): „Wir müssen reden: Warum wir eine neue Streitkultur brauchen“, Brandstätter Verlag, 2018
4. Georgi, Oliver (2019): “Und täglich grüßt das Phrasenschwein. Warum Politiker keinen Klartext reden – und wieso das auch an uns liegt“, Duden, 2019
5. Wagner, Stefan (2014): „Das Ende der Blender: Die medialen Muster der Ehrlichkeit“, Goldegg Verlag, 2014
6. Noebel, Christoph (2021): „Argument und Kritik“, in „Vertrauen und Verantwortung- Teil I: Gemeinwohl“, epubli, 2021
7. Zorn, Daniel-Pascal (2017): „Logik für Demokraten: Eine Anleitung“, Klett-Cotta, 2017
8. M’Barek, Yasmine (2022): „Radikale Kompromisse: Warum wir uns für eine bessere Politik in der Mitte treffen müssen“, Hoffmann und Campe Verlag, 2022

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